Der Ukraine-Krieg: Erkenntnisse und Konsequenzen
Von Walter Münnich, Leiter des Politischen Beirats

Schon jetzt, während der Krieg noch tobt, können und müssen Erkenntnisse aus dieser Tragödie gewonnen werden und in Konsequenzen münden.
Im Folgenden geht es dabei nicht um taktische Konsequenzen aus dem unmittelbaren Kriegsgeschehen, sondern um die erforderlichen strategischen Entscheidungen und die daraus resultierende Anpassung der Politik in allen betroffenen Feldern.
Es ist gar nicht hoch genug einzuschätzen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Sondersitzung des Deutschen Bundestages am 27. Februar diesen Politikwechsel in unerwarteter, aber erforderlicher Massivität einleitete.
Doch zuerst geht es um eine schnellstmögliche Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen. Am 1. März hat Wladimir Putin in einem Gespräch mit dem venezolanischen Ministerpräsidenten Nicolás Maduro seine Vorstellungen über die Beendigung des Krieges erstmals dargelegt:
Die Ziele Russlands seien »der Schutz der Zivilbevölkerung im Donbass, die Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk und der Souveränität Russlands über die Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch Kiew, die Demilitarisierung und Entnazifizierung des ukrainischen Staates sowie die Gewährleistung eines neutralen atomwaffenfreien Status der Ukraine«, so Putin laut seiner Pressestelle.
Man kann dies nun als empörend oder unannehmbar ansehen. Das hilft aber nicht, schon gar nicht der betroffenen Bevölkerung. Der russische Präsident hat schon mit seinem Angriffsbefehl den „Point of no return“ überschritten. Er ist zu allem fähig. Kommt es nicht zu einem schnellen Verhandlungsfrieden, sind die Aussichten mehr als düster. Die NATO hat nochmals betont, dass sie die Ukraine militärisch nicht unterstützen wird, womit einer Besetzung der gesamten Ukraine mit der damit verbundenen wahrscheinlichen Abschlachtung der Widerstandskräfte, nichts im Wege steht. Angesichts des Freiheitswillens des ukrainischen Volkes droht im Anschluss das Schicksal der Vietnamisierung oder Nord-Irlandisierung dieses Krieges mit Bombenanschlägen und Überfällen, die ihrerseits drakonische Gegenmaßnahmen erzeugen.
Niemandem kann daran gelegen sein, dass mitten in Europa eine schwärende Wunde klafft - auch Putin nicht. Hieraus entsteht aber möglicherweise ihm gegenüber ein Verhandlungsansatz.
Bleibt die Frage nach der Wirkung der Sanktionen. Natürlich war es richtig, solche zu verhängen, und sie werden auch Wirkung zeigen. Die russische Bevölkerung hat aber in ihrer Geschichte gezeigt, dass sie extrem leidensfähig ist. Und es ist die Frage, ob sie nicht doch zu ihrem „Anführer“ stehen wird. Angeblich soll 60% der russischen Bevölkerung davon träumen, die alte Sowjetunion wieder herzustellen.
Auf die Möglichkeit der Ablösung von Wladimir Putin zu setzen, geht der Verfasser nicht ein. Sie ist rein spekulativer Natur und könnte, ohne dass das hier näher erläutert wird, nach hinten losgehen.
Das Gebot der Stunde sind sofortige Friedensgespräche, und es bleibt der erneute Verweis auf das finnische Modell.
Kommen wir zu den Konsequenzen für Europa.
Vor allem sind aus europäischer Sicht deutliche Konsequenzen zu ziehen. Europa muss in der NATO eine wesentlich stärkere Rolle einnehmen und dies gleich aus mehreren Gründen:
Europäische Probleme müssen, weiterhin unter dem Schutzschild der Vereinigten Staaten, primär von Europa gelöst werden. Dazu müssen zwingend die Verteidigungsausgaben erhöht werden, denn der Schutz Europas darf nicht bedeuten, dass dieser im Wesentlichen durch die USA gewährleistet wird, und die europäischen Nationalstaaten als Trittbrettfahrer die Früchte ernten.
Auch die Variante einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ als weitere tragende Säule innerhalb der NATO weckt enorme Sympathien.
Ein in seiner Dimension noch nicht überschaubarer Grund kommt ebenfalls hinzu: Die USA werden sich zukünftig nicht mehr in dem Maße um Europa kümmern können wie bisher. Im indo-pazifischen Raum braut sich mit der weiterwachsenden Stärke der Volksrepublik China Übles zwischen China und den USA zusammen Auch hier haben wir es mit dem Mechanismus der Machtverschiebung zu tun, der systemimmanent Kriegsgefahr auslöst. Diese zu verhindern und gleichzeitig den Einflusszuwachs Chinas einzudämmen, wird die ganze Aufmerksamkeit der Vereinigten Staaten erfordern.
Damit sind wir bei der Verteidigungspolitik Deutschlands: Nach 16 Jahren und fünf Ministern verschlampter Verteidigungspolitik hat Bundeskanzler Olaf Scholz das Ruder am 27. Februar radikal herumgeworfen. 100 Milliarden Euro werden für die Sanierung der Bundeswehr bereitgestellt; ab sofort soll der jährliche Verteidigungsetat endlich 2% des Bruttoinlandsproduktes betragen.
Wichtig ist jetzt, dass das Geld nicht mit der Gießkanne verteilt wird. Es müssen der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr innerhalb der NATO definiert, dementsprechend Truppenstruktur und –stärke festgelegt und die dafür erforderliche hochmoderne Ausrüstung beschafft werden. Zwingend erforderlich ist, die Führungsstruktur des Verteidigungsministeriums und der Bundeswehr den veränderten Gegebenheiten anzupassen.
Auch die Energiepolitik der Bundesrepublik steht vor einer grundsätzlichen Revision.
Die Energiepolitik Deutschlands seit der Energiewende zeigt, was passiert, wenn sie nicht breit diversifiziert über alle Energiegewinnungsarten und über die die Rohstoffe liefernden Ländern angelegt ist. Die Situation, die durch die fehlende Diversifikation entstanden ist, kann nur noch als schizophren bezeichnet werden.
Wir haben uns richtigerweise gegen ein Land zu stellen und an Sanktionen zu beteiligen, welches für uns Hauptlieferant aller fossilen Energie-Rohstoffe, also nicht nur Gas, sondern auch Öl und Kohle ist. Das wirft die bange Frage nach der Versorgungssicherheit auf.
Diese Sorge ist unbegründet, zumindest wenn der Krieg nicht weiter eskaliert. Wer jemals mit Russland Wirtschaftsverträge abgeschlossen hat, weiß, dass Moskaus Vertragstreue über jeden Zweifel erhaben ist; dies galt selbst in den kältesten Zeiten des Kalten Krieges. Mehr noch: Russland wäre töricht, jetzt am Gashahn zu spielen. Der Krieg sorgt für exorbitant steigende Energie-Rohstoffpreise, die aktuell zu erheblichen Einnahmesteigerungen Russlands führen. Das Geld kommt im Wesentlichen von den Bürgern Deutschlands, die diese Preissteigerungen tragen müssen.
Die Finanzierung des Krieges ist gesichert und der Wohlstand der Deutschen sinkt. Das ist schizophren.
Fazit: Die gesamte Energiepolitik Deutschlands muss neu aufgestellt werden. Alles muss auf den Prüfstand. Ideologische Tabus gehören in die Mottenkiste der Geschichte. Die geplante Abschaltung weiterer Kraftwerke muss gestoppt werden und sei es um den Preis hoher Abfindungszahlungen an die Stromkonzerne. Die Kernkraft muss Stütze unserer Energiewirtschaft werden.
Die deutsche Außenministerin versprach bei ihrem Amtsantritt eine „feministische Außenpolitik“ und hat bei ihren Antrittsbesuchen versucht, andere Länder am deutschen Wesen genesen zu lassen. Mit diesem Ansatz ist sie gescheitert und hat sich und unser Land lächerlich gemacht. Bleibt zu hoffen, dass sie unter dem Druck der Realität sich darauf besinnt, was die Aufgabe von Außenministern ist, auch wenn sie weiblichen Geschlechtes sind: Sie sollen die Interessen Deutschlands in der Welt vertreten.
Der Ukraine-Krieg ist ein Schock! Es bleibt zu hoffen, dass damit in unserem Land das Ende der Ära links-grüner Traumtänzereien und Utopien eingeläutet ist.
(BFA - 04.03.2022)