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Ein Jahr nach der Bundestagswahl: Eine kritische Betrachtung

Von Walter Münnich, Leiter des Politischen Beirats



wolfgang.kaiser@bfa-verein.de
Was hat die Ampel seit der Wahl geliefert?

Am 26. September 2021 wurde der 20. Deutsche Bundestag gewählt. Und obwohl sich 23,4 % der Wahlberechtigten überhaupt nicht beteiligten, wuchs das Parlament mit 736 Sitzen auf Rekordgröße.


Nach mehr als zwei Monaten Sondierungsgesprächen und Koalitionsverhandlungen wurde die neue Bundesregierung am 8. Dezember des vergangenen Jahres vereidigt. Deutschland wird seitdem von einer sogenannten Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP regiert.


Auf 141 Seiten wurde im Koalitionsvertrag unter der hochtrabenden Überschrift „Mehr Fortschritt wagen“ das zukünftige Regierungshandeln festgelegt. Nach knapp einem Jahr ist aber klar, dass der Vertrag mindestens in Teilen reine Makulatur ist: Gnadenlos wurden politische Absichten, ja Glaubensgrundsätze, von der Realität überholt und in das Reich der Phantastereien verwiesen. Es stellt sich die Frage, wie sich die Regierung in dieser veränderten Situation verhalten hat.


Im Folgenden werden daher verschiedene Aspekte des Regierungshandelns betrachtet, um am Ende zu einer Wertung der Regierungsarbeit zu kommen.


Energiepolitik


Wir erleben eine Verknappung der Hauptenergieträger - verbunden mit einer daraus resultierenden explosionsartigen Steigerung der Preise für Treibstoff, Gas und wohl künftig auch für Strom, obwohl wir für letzteren schon die höchsten Preise der Welt bezahlen.


Bundeskanzler Olaf Scholz begründet dies, anlässlich der Vorstellung des dritten Entlastungspaketes, mit dem Ukrainekrieg.


Er liegt damit wissentlich falsch. Der Ukrainekrieg ist nicht Ursache der Verknappung, sondern der Brandbeschleuniger einer schon vor Jahrzehnten grottenfalsch angelegten Energiepolitik.


Die tatsächlichen Ursachen sind

  • der Ausstieg aus der Atomenergie;

  • der zeitgleiche Ausstieg aus der Kohleenergie;

  • die Ablehnung des Baus von LNG-Terminals;

  • das Verbot, Gasvorkommen durch Fracking zu erschließen und

  • der völlig aberwitzige Ansatz, die Stromerzeugung eines Hochindustrielandes wie Deutschland ausschließlich auf regenerative Energien zu beschränken.

Jede Art von Energiegewinnung hat gewisse Nachteile und auch Ausfallrisiken. Die einzig richtige Energiepolitik eines Hochindustrielandes kann daher nur sein, die Versorgung so breit wie möglich zu diversifizieren, um Versorgungsrisiken untereinander ausgleichen zu können und den Strompreis auf wettbewerbsfähiges Niveau zu halten. Ein angemessener und finanzierbarer Klimaschutz kommt dabei nicht zu kurz.


Die deutsche Energiepolitik wurde international, so stellte es das »Wall Street Journal« im vergangenen Jahr fest, nach dem erklärten Atomausstieg der Merkel-Regierung als die „dümmste der Welt“ bewertet, und es zeichnet sich ab, dass diese fortgeführte Politik in eine schwere Rezession führt und eine Vielzahl von Existenzen gerade im Mittelstand gefährdet. Eine radikale Kursänderung mit der Beseitigung vorgenannter Ursachen wäre erforderlich – doch sie ist nicht in Sicht.


Stattdessen erfolgen Korrekturen in homöopathischen und nicht wirklich ernstgemeinten Dosen. Lächerliche Sparprogramme sollen helfen. Darüber hinaus wird versucht, die Bürger durch „Entlastungspakete“ ruhig zu stellen. Diese sind jedoch nur eine kurzfristige Hilfe. Sie beseitigen nicht die vorgenannten Ursachen. Wie soll es weitergehen? Kommt ein viertes und dann ein fünftes und dann ein wievieltes Entlastungspaket?


Der für Wirtschaft und Klima zuständige Minister schafft es nicht, sich von seinen selbst geschaffenen Dogmen zu verabschieden. Im Interview mit Sandra Maischberger am 6. September hat er obendrein ein Höchstmaß an Inkompetenz und Unwissenheit zur Schau gestellt.


Er ist eine Gefahr für Deutschland und sollte unverzüglich abgelöst werden.


Inflation


Einhergehend mit diesem Prozess erleben die Bürger eine Inflation in noch nie dagewesener Dimension seit Gründung der Bundesrepublik. Sie speist sich aus drei Quellen.

  • Vorgenannter Energieverknappung;

  • Lieferkettenstörungen mit nachfragebedingten Preiserhöhungen;

  • Einer verspätet aufgenommenen Politik der Zinsanhebungen durch die Europäische Zentralbank (EZB), um den Inflationsanstieg zu dämpfen und letztlich zu stoppen.

Darüber hinaus droht ein weiterer Inflationsschub durch die von der EZB ausgelösten Geldschwemme zur verbotenen Staatsfinanzierung. Bei einer Inflation gibt es mit absoluter Sicherheit immer einen Gewinner: Den Staat.


Mit jeder Preissteigerung nimmt er, ohne dass unangenehme Gesetzesmaßnahmen erforderlich sind, mehr Steuern ein. Gleichzeitig sinkt die Schuldenlast einfach dadurch, dass sie an Wert verliert. Eine inflationsbedingte Steigerung des Bruttoinlandproduktes führt zudem zu einem Sinken des relativen Anteiles der Schulden am Bruttoinlandsprodukt, wenn nicht im gleichen Atemzug wieder zugelangt wird.


Genauso gibt es ebenso mit absoluter Sicherheit immer zwei Verlierer: Es ist zum einen der Bürger oder - genauer gesagt –der »kleine Mann«. Er ist derjenige, der mit seinem überschaubaren Einkommen als erster Einschränkungen seines Lebensstiles hinnehmen muss. Und er ist derjenige, der wehrlos dem Wertverfall seines sauer angesparten Vermögens zusehen muss.


Und zum anderen sind es die Firmen im Mittelstand, die die Preissteigerungen für ihre Vormaterialien nicht oder nicht in auskömmlichen Maßen an ihre Kunden weitergeben können. Sie müssen versuchen, sich kleiner zu setzen oder müssen ihre Geschäftstätigkeit aufgeben und verlieren, um es deutlich zu sagen: ihre Existenz.

Um die Menschen ruhig zu halten, werden Entlastungspakete geschnürt. Nur beseitigen sie nicht die Ursachen der Inflation. Zudem wurde für die betroffenen mittelständischen Unternehmen noch keine Unterstützung auf den Weg gebracht.


Inflation durch Anstieg der Energiepreise kann nur durch eine radikale Wende der gescheiterten Energiepolitik erzielt werden. Unsere Regierung ist aus ideologischen Gründen nicht willens, diese Wende zu vollziehen.


Inflation durch Lieferkettenstörungen dürfte sich durch Anpassung von Nachfrage und Angebot und Erschließen neuer Lieferquellen über die Zeit auf marktwirtschaftlichem Wege von selbst korrigieren.


Ein böses Problem ist die von der EZB zu vertretende Zinspolitik und die durch sie zu verantwortende Geldschwemme. Dieses Problem ist systemischer Natur und erfordert grundlegende Reformen der Euro- und EZB-Architektur.


Es ist nicht zu erkennen, dass die derzeit maßgeblichen Politiker dazu den erforderlichen Mut haben.


Verteidigungspolitik


Der Ausbruch des Ukrainekrieges hat uns schonungslos vor Augen geführt, dass die Bundeswehr in Folge jahrzehntelanger Schlamperei runtergewirtschaftet ist. Wir sind nicht verteidigungsfähig.


Am Beispiel Israels mit nur 176 Tausend aktiven Soldaten zeigt sich, dass es auch anders gehen kann. Das Versagen der deutschen Verteidigungspolitik ist Ergebnis hoffnungsloser Inkompetenz der politischen Führungsspitze des Ministeriums.


Der Ukrainekrieg hat insofern als ein heilsamer Schock gewirkt, der schließlich zu der Entscheidung des Bundeskanzlers führte, mit einem Sondervermögen, also Sonderschulden, von 100 Milliarden Euro, die Bundeswehr wieder auf Vordermann zu bringen. Diese Entscheidung ist richtig.


Geld allein reicht aber nicht aus, um aus einer heruntergewirtschafteten Armee wieder einen schlagkräftigen Truppenverband zu machen.


Es gehören dazu:

  • die Formulierung des strategischen Kampfauftrages innerhalb der NATO;

  • eine zum Auftrag maßgeschneiderte Streitkräftestruktur;

  • eine umfassende Ausbildung einer derartig neu strukturierten Armee und

  • vom Kampfauftrag durchdrungene Soldaten - also die Kampfmoral.

Gehen wir davon aus, dass der erste Punkt durch den NATO-Generalstab kompetent definiert wird. Die nachfolgenden Punkte sind Herkulesaufgaben, deren Erfüllung Jahre in Anspruch nimmt und militärisch hochqualifizierte Persönlichkeiten erfordert. Die amtierende Ministerin, Christine Lambrecht, hat an der Spitze des Verteidigungsministeriums ohnehin die Rolle einer Statistin wahrgenommen. Sie ist auszutauschen.


Außenpolitik


Das Außenministerium eines Landes ist sozusagen der Gralshüter der Diplomatie. Wo, wenn nicht dort, sollte die Pflege diplomatischen Umgangs mit anderen Ländern erfolgen?


Annalena Baerbock, das muss man fairerweise sagen, kniet sich rein in ihre Aufgabe und strengt sich an. Sie hat es schwer, da sie gerade auf diesem schlüpfrigen Parkett nicht über die notwendige Erfahrung verfügt, und es ihr insgesamt an anspruchsvoller Lebenserfahrung fehlt. Es ist zu befürchten, dass sie in schwierigen Gesprächen nicht ernst genommen oder aber über den Tisch gezogen wird.


Kontraproduktiv für ihr Amt ist ihr Hang, unbedacht daher zu reden. Auch sollte sie bedenken, dass sie ihren Amtseid auf das Wohl des deutschen Volkes und nicht eines anderen geleistet hat.


Streitereien auf offener Bühne vor den versammelten Medien, wie kürzlich in der Türkei mit Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu geschehen, sollten unterbleiben, denn Diplomatie ist stille Politik.


Von Egon Bahr, dem deutschen Chefdiplomaten in der kältesten Zeit des Kalten Krieges wissen wir, dass es in der internationalen Politik ausschließlich um Interessen geht; genauer gesagt um Macht-, Einfluss- und Existenzsicherungsinteressen. Für Moralapostel und Sentimentalitäten ist internationale Politik keine Bühne. Bleibt zu hoffen, dass Frau Baerbock Vorgenanntes schnell lernt.


Arbeitsmarktpolitik


Der Arbeitsmarkt wird auch dadurch gekennzeichnet, dass ein erheblicher Arbeitskräftebedarf besteht. Dies bezieht sich namentlich auf das Handwerk, Teile des verarbeitenden Gewerbes, das Gast- und Beherbergungsgewerbe und Teile des Tourismusgewerbes, letzteres durch den Nachholbedarf nach dem Abklingen der Corona-Pandemie.


Man könnte meinen, in Deutschland herrscht Vollbeschäftigung.


Als vollbeschäftigt gilt eine Volkswirtschaft, wenn sie eine Arbeitslosenquote von zwei Prozent verzeichnet. Tatsächlich liegt die Quote in unserem Land im Durchschnitt des laufenden Jahres jedoch bei 5,2 % bzw. etwa 2,4 Millionen Personen, davon 934 Tausend länger als ein Jahr. Durch gewisse statistische Definitionen werden bestimmte Personengruppen, die mit Fug und Recht als arbeitslos gelten könnten, nicht mitgezählt. Man kann daher auf die offizielle Arbeitslosenzahl getrost etwa weitere 500 Tausend arbeitslose Menschen zuaddieren.


Angesichts des bestehenden Arbeitskräftebedarfes sollte man meinen, dass das Arbeitsministerium alle Hebel in Bewegung setzt, um den Bedarf an Arbeitskräften aus diesem Arbeitslosenpotenzial zu befriedigen. Dies müsste durch entsprechende Anreize einerseits aber auch durch Erhöhung des Druckes auf diejenigen, die es sich in der Arbeitslosigkeit bequem eingerichtet haben andererseits, erfolgen. Doch das Gegenteil ist der Fall.


Die Pläne von Hubertus Heil, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden soll, sehen mit Wirkung vom 1. Januar 2023 erhebliche Verbesserungen, namentlich bei Hartz-IV-Empfängern vor. Hier sollen insbesondere bisherige Sanktionen im Falle von Pflichtverletzungen der betroffenen Personen entfallen. Was sich Heil dabei gedacht hat, bleibt sein Geheimnis.


Bildungspolitik


Die Bildungspolitik steht in engem Zusammenhang mit der Arbeitsmarktpolitik. Schließlich ist sie es, die unsere Volkswirtschaft auf allen Ebenen mit gut qualifiziertem Nachwuchs versorgen soll.


Hier wird seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, am Bedarf vorbei produziert. Das Handwerk, wie auch das verarbeitende Gewerbe, suchen qualifizierten Nachwuchs. Wir aber „produzieren“ Abiturienten. Durch Abbau der Leistungsanforderungen steigt die Zahl der Abiturienten inflationär. Diese nehmen dann ein Studium auf, von denen etwa ein Viertel selbiges wieder abbrechen: Volkswirtschaftlich eine unerträgliche Ressourcenverschwendung.


Ein grundsätzlicher Kurswechsel ist nicht einmal ansatzweise festzustellen.


Innenpolitik und Wohnungsbaupolitik


Es gibt politische Absichten und Aktivitäten, deren Umsetzung in verschiedenen Ministerien angesiedelt ist, die aber miteinander in Verbindung stehen, einander bedingen und daher aufeinander abgestimmt sein müssen. Dies ist in dieser Regierung zumindest zum Teil nicht der Fall und soll am Beispiel der Kompatibilität von Innenpolitik und Wohnungsbaupolitik in diesem Abschnitt verdeutlicht werden.


In Deutschland herrscht zumindest in den Ballungszentren ein erheblicher Mangel an für Mieter finanzierbarem Wohnraum. Die richtige Schlussfolgerung daraus ist, dass der Wohnungsneubau massiv forciert werden muss.


Dies hat die Bundesregierung auch in ihrem Koalitionsvertrag formuliert: 400.000 Wohnungen sollen jedes Jahr neu gebaut werden, um der Not Herr zu werden, den Mangel zu beseitigen und die galoppierenden Mietpreise einzufangen. So weit, so gut!


Im gleichen Atemzug ist aber überdeutlich zu erkennen, dass Nancy Faeser, die Innenministerin, alles tut, um die Zuwanderung von Migranten zu erleichtern und zu steigern, bzw. deren Ausweisung zu verhindern. Beides passt nicht zusammen.


Wenn man den gegebenen Mangel an Wohnungen für die im Land befindliche Bevölkerung beseitigen will, kann man nicht zeitgleich versuchen, den Zustrom von Migranten mit allen Mitteln zu steigern und das auch noch ohne ein bedarfsorientiertes Einwanderungsgesetz.


Erschwerend kommt hinzu, dass die Zahlen des Statistischen Bundesamtes schon jetzt zeigen, dass das gesetzte Ziel von 400.000 neuen Wohnungen in diesem Jahr nicht erreicht werden wird. Die Entwicklungen von Wohnungsbau einerseits und Migrantenzustrom andererseits laufen auseinander. So wird das nichts.


Die Einführung eines beinharten Einwanderungsgesetzes ist unabdingbar. Dies wird mit Frau Faeser nicht zu machen sein. Das Wohnungsproblem wird bleiben.


Nancy Faeser ist ohnehin ein besonderer Fall. Ihre Migrationspolitik zeigt, dass sie aus den Erfahrungen von 2015 nichts, aber rein gar nichts gelernt hat. Mit dem Grundgesetz hat sie es nicht so, wie man aus ihren Bemerkungen zum Demonstrationsrecht der Bürger erkennen konnte.


Extremismus ist für sie anscheinend nur eine Gefahr, wenn er von rechts kommt. Frau Faeser ist als Ministerin inakzeptabel.


Anstand


Das deutsche Volk droht in die schwerste Krise seit Bestehen unserer Demokratie zu geraten. Menschen beginnen zu verarmen, die Existenz von Unternehmen ist gefährdet. In dieser Situation ist auch und gerade von Politikern Bescheidenheit gefragt.


Ein Parlament, welches Rekordgröße erreicht hat, passt nicht. Eine Erweiterung des Bundeskanzleramtes mit einem Aufwand, der sich in Richtung einer Milliarde Euro bewegt, geht nicht. Die Aufstockung des Beamtenapparates nach der Wahl um mehrere hundert Planstellen geht nicht.